Horst Dieter Sihler und sein Kino
Film: Elektronisch gespeichertes Kulturgut, Unterhaltungsgut, gefunden und heruntergeholt, herabgestiegen zu uns, aus einer cloud, einer Wolke, auf dass wir sehen und erkennen. So erleben wir Film heute. Im Internet abrufbar, auf ein Handy gespeichert, allerorts und zu aller Zeit einsehbar. Einfach halt. Bedarf es da noch eines verdunkelten Raumes, knarrender Sitzreihen, magischer Breitwandeffekte, eines Tons, der den Zuseher umkreist und hinter der Leinwand wieder verschwindet?
In Klagenfurt gab es das Prechtlkino. Heute ist dort, in diesem Hermagorasgebäude ein Supermarkt. Als es noch in Betrieb war, ging das Kassenfräulein vor der Vorstellung mit einer Duftspritze durch den Saal. Auch Hartgesottenes, Kriegs- oder Horrorfilme, Actionszenen oder Liebesgeflüster waren stets in kühlen Tannenduft gehüllt. Es gab im Vorraum ein Rondeau mit Plastikpalmen und dem bärtigen Kinogründer Prechtl als Denkmal. Dieselbe Familie betrieb auch einen Bärenzoo am Kreuzbergl, der in den letzten Jahren seines Bestehens eine Unzahl sich ständig vermehrender Meerschweinchen beherbergte und keinem Bären mehr Heimstätte war. Die Volksschulen besuchten daraufhin den Bärenzoo nicht mehr.
Horst Dieter Sihler wird sich daran erinnern. Denn er ist mit dem Kino aufgewachsen, hat es schon früh im letzten Jahrtausend zu seinem Lebenselixier gemacht, und ist bis heute nicht davon losgekommen. Er hat es begleitet, kommentiert, analysiert und immer mit seiner Begeisterung eine Stufe weitergehoben. Nun ist Mein Kino des 20. Jahrhunderts. Erlebte Kinogeschichte erschienen. Sihler erinnert sich.
Er hat die Ersten Österreichischen Filmtage gegründet und im Volkskino das Alternativkino ins Leben gerufen, dessen Vorzeigecineast und Programmgestalter er viele Jahre geblieben ist, bis andere es besser machen zu können glaubten. Heute hört man nicht mehr viel von dem Verein Alternativkino. Apropos: Cloud wird manchmal auch mit Trübung übersetzt.
Der Poet Sihler hat seine Gedichte gesammelt: Am Anfang war die Poesie, und er hat seine Kinoerlebnisse gesammelt. Es sind Essays, in denen die Liebe zur Sprache zu Wort kommt, und in denen Kino zur Literatur geworden ist. Bei Sihler nachlesen, heißt nachleben, heißt, mit seiner Brille eine eigene Sichtweise gewinnen.
Das Buch sollte in Bereitschaft bleiben, am Nachttisch, griffbereit im Bücherregal, jederzeit zur Nachlese aufliegen. Es kann zu einem Begleiter über eine lange Zeit werden. Zurück und bis hierher, in eine Gegenwart, in der sich alles Erlebenswerte überschlägt, überschreit, überholt, überlebt, bevor es sich noch einprägen kann. H.D. Sihler überlegt und kämpft spielerisch mit Einsichten und Eindrücken, in denen er die Atmosphäre des Geschauten in nachlesbare Schriftstücke bannt. Sein Schreibe kann mithalten. Mit seinem Kino steht er auf Augenhöhe.
Manchmal kommt er am Samstag zum Sever-Stammtisch, und wenn man ihn fragt, erzählt er von seinen Erlebnissen. Fragt man ihn nicht, erzählt er von seinen Erlebnissen. Dazwischen ist er aus Höflichkeit still und gibt sich den Anschein, als höre er zu. Tritt eine Pause ein, erzählt H.D. Sihler von seinen Erlebnissen. Immer mit großem Erstaunen, was ihm da alles geschehen sei. Er legt sein erstes Exemplar von Mein Kino auf den Tisch und wartet, dass jemand es nimmt. Nach einer Weile drückt er es einem Anwesenden nach freier Wahl in die Hand und gibt das eine oder andere Stichwort, wie damit umzugehen sei, ginge es nach ihm. Sihler erzählt. Seine Augen funkeln, hier ist sein Leben in konzentrierter Form auf 391 Seiten. Selbst die Einleitung und das Nachwort sind von ihm.
In den vielen Jahren seit wir uns kennen, sind wir uns immer wieder begegnet und haben uns aus den Augen verloren. Gespräche wurden nie beendet, vielmehr mit wochen- oder monatelangen Pausen verlängert. Ging es um das Kino, waren sie immer von seiner Leidenschaft bestimmt. Sihler ist die literarische Projektionsapparatur für cineastische Entdeckungsreisen. Er wirft uns Gesehenes, Übersehenes und Entgangenes auf die Leinwand unserer Imagination, hält sie so lebendig und schützt uns so vor so manchem ernüchternden Blackout. – Danke „HaDeS“!