Giovanni Guareschi muss wohl Peppone und Don Camillo in einer Person gewesen sein, folgt man seiner turbulenten Lebensbeschreibung, wie sie mir als Brief vorliegt. Nicht selten gerade noch davongekommen, wiederholt auch hinter Gittern einsitzend, war und blieb er doch ein volkstümlicher Don Quichote der Literatur und der Politik, den wenig kalt ließ, und der so manch bedeutenden Zeitgenossen in Rage zu bringen vermochte.
Da ist der schalkhafte, mit den Herausforderungen des Lebens verschmitzt kokettierende Pfarrer, der seinen ganz persönlichen Jesus an seiner Seite weiß, und da ist der cholerisch agierende, heißblütige Kommunalpolitiker, der Partei ergreift, angreift, anpackt und überzeugt umsetzt, auch wenn es ihn um Kopf und Kragen bringen könnte. Beide heißen Giovanni Guareschi.
Wer kennt nicht die wunderbaren Filme mit Fernandel und Gino Cervi, in denen vier Seelen in zwei Protagonisten gegeneinander antreten, in denen immer die Menschlichkeit obsiegt, und immer der blinde Eifer am Rande der Lächerlichkeit mehrere Generationen in herzliches Mitlachen ausbrechen ließ?
Nun hat das Wiener Ronacher das Musical „Don Camillo und Peppone“ herausgebracht. Vielleicht führt diese Theaterproduktion dazu, dass der Leser wieder zu Guareschi greift. Die Verkaufszahlen der deutschen Übersetzungen sind rückläufig, wie mir Lina, die Enkelin Giovanni Guareschi versichert.
Es lohnt sich sicherlich, denn hier ist ein Autor wieder zu entdecken, der ein unbeugsamer kritischer und politischer Autor ebenso war, wie ein Humorist und Satiriker, der über die menschlichen Schwächen nur zu gut Bescheid wusste, konnte er sie doch in den schillerndsten Ausprägungen am eigenen Leib und in seiner Umgebung studieren.
Die letzten Jahre vor seinem Tode 1968 verbrachte er in Le Roncole, einem kleinen Ort in der Emilia Romagna, wo Guareschi mit seiner Familie das Restaurant „Albertos“ betrieb. Heute befindet sich dort ein kleines Guareschi-Museum, das von Sohn Alberto und Enkelin Lina betreut wird und im Schatten des großen Sohnes Roncoles, Giuseppe Verdi, steht. Dessen Geburtshaus ist ein Muss für Verdi-Jünger. Guereschis liebevoll aufgebaute Dokumentation eines Unzähmbaren, im einstigen „Albertos“ eingerichtet, rückt sich fast bescheiden in den Hintergrund des Ortes. Es ist still geworden um Giovanni Guareschi. Das war nicht immer so.
„Ich habe eine Unzahl von Berufen ausprobiert.“, schreibt er in einem Brief: „Elektriker, Karikaturist. Comiczeichner, Holzschneider, Szenograph, mechanischer Zeichner, Fahrradparkplatzwächter. Keiner wollte mir so recht gelingen und so verfiel ich auf den Journalismus.“ Seine ersten Arbeitsplätze waren die „Voce di Parma“ und dann die „Gazetta di Parma“. Schon bald wurde es dem jungen Zeitungsschreiber in seinem Umfeld zu eng. Guareschi ging nach Mailand und blieb dort fünfundzwanzig Jahre. Der bekannte Verleger Angelo Rizzoli hatte gerade die humoristische Wochenzeitschrift „Bertoldo“ gegründet. Der Weltkrieg unterbrach Guareschis Karrierelauf. Politisches Engagement rückte während der Kriegsjahre immer stärker in dem Mittelpunkt seiner politisch oft kontroversen Tätigkeiten. 1942 legte sich der bekennende Italo-Faschist mit seinen Parteigenossen an, die ihm wegen Unbeugsamkeit den Prozess machen wollten. Guareschi schreibt: „Um mich vor dem Prozess zu retten, ließ ich mich wieder in den Militärdienst einberufen. Am 8. September 1943 wurde ich von den Deutschen verhaftet, die mich freundlich fragten, ob ich lieber gemeinsam mit ihnen weiterkämpfen wolle, oder lieber in ein Konzentrationslager geschickt werden möchte. Ich antwortete, dass ich beschlossen hätte, den Krieg ganz auf eigene Faust weiter zu kämpfen, und so fand ich mich in einem Konzentrationslager nahe Warschau in Polen wieder.“
1945, zurückgekehrt nach Mailand, gründete Guareschi die satirische Wochenzeitschrift „Candido“. Seine 1951 dort publizierte Karikatur des Staatspräsidenten Luigi Einaudi brachte ihm eine (bedingte) Gefängnisstrafe wegen Beleidigung des Staatsoberhauptes ein. „Ich begann den Leuten ernsthaft auf die Nerven zu gehen und machte damit unerschrocken weiter, auch als ich zu acht Monaten verurteilt wurde, weil ich den Präsidenten nicht mit genügend Respekt behandelt hatte.“
Camillo/Peppone war nicht mehr zu bremsen. Die Androhung von Haftstrafen konnten ihn nicht davon abhalten, sich weiter mittels Satire lautstark politisch zu äußern. Was konnte auch schlimmer sein, als ein Aufenthalt in einem deutschen Konzentrationslager? Bei seiner Entlassung wog er sechsundvierzig Kilo.
Eine weitere Gelegenheit in einen ausgewachsenen Fettnapf zu steigen, bot sich alsbald in den Nachkriegsjahren. Diesmal sollte es nicht so glimpflich wie zuvor ausgehen. Guareschi schreibt: „Dann stolperte ich über einen großen Brocken, heute ist er verstorben und ver-denkmalt. Ihm verdanke ich dreizehn Monate Zuchthaus im Gefängnis San Francesco di Parma. Ich erhielt, um der Wahrheit die Ehre zu geben, eine Behandlung, die meinen Stolz sehr anstachelte, denn ich sah mich ebenbürtig behandelt mit den anerkanntesten Professionisten des Raubüberfalls, des Einbruchs, der Vergewaltigung, des Mordes usw.“
Auch in diesem Falle stand neben dem streitbaren Journalisten ein italienischer Spitzenpolitiker im Mittelpunkt der Affäre: Alcide De Gasperi.
Am zwanzigsten Jänner 1954 erschien im „Candido“ ein angeblich authentischer Brief des ehemaligen Staatsoberhauptes, Premierministers, Mitbegründers der italienischen Volkspartei (PPI) und der Democrazia Christiana (DC). Aus diesem Schreiben ging hervor, dass De Gasperi 1944 die Alliierten gebeten habe, zur schnelleren Beendigung des Krieges den Stadtrand und die Wasserwerke von Rom zu bombardieren. Guareschi präsentierte einen Brief, der in der oberen Ecke den Aufdruck der Staatskanzlei des Vatikans trug. De Gasperi lebte in den Kriegsjahren im vatikanischen Asyl. Die Echtheit des Briefes konnte zwar nicht festgestellt werden, der gute Ruf, Wahrheit hin oder her, war in jedem Fall ruiniert. Ein hochdekorierte Politiker konnte nicht mehr daran denken, aktiv an exponierter Stelle in die italienische Politik eingreifen zu können. Guareschi wurde verurteilt, trat seine Haftstrafe an und bezog darüber hinaus eine sechsmonatige Hausarreststrafe.
Manche Auseinandersetzungen enden mit dem Sieg eines Beteiligten, manche unentschieden, andere mit dem Scheitern beider Parteien. So war es letztlich auch in diesem Fall. Alcide De Gasperi starb 1954, drei Monate nachdem er sich noch europapolitisch auszeichnen konnte und zum Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung, eine Vorläuferin des Europäischen Parlamentes, berufen wurde. Giovanni Guareschis Nachruhm bleibt mit Misstönen durchwachsen. In Italien betrachten ihn Literaturfreunde mit Skepsis.
Camillo/Peppone war ein Überlebenskünstler, den nichts so bald erschüttern konnte. Er bewahrte sich seinen überbordenden, polternden Humor, seinen Blick für die Schönheiten des Lebens und dessen kleine und größere Fehlentwicklungen, an denen er oftmals selbst beteiligt war: „Jetzt sitze ich an der Schreibmaschine. In Unterhosen, weil es so heiß ist. Und stolz bin ich. Ich bin eine Stunde älter als ich war, bevor ich begann, diesen Brief zu schreiben, und ich fühle mich nicht alt. Ich hasse Rita Pavone und ich möchte ein übermächtiger Riese sein, um alle Fernsehantennen, die über den Hausgiebeln ihre Tentakeln erheben, niederzumähen, so wie der Alte vor meinem Fenster, der gerade mit der Sense die Luzernen mäht.“
Günter Schmidauer